Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Der Instruktor
Motorradfahren ist eine Kunst. Die meisten Motorradfahrer sind sich sicher, daß sie diese Kunst beherrschen. Darum gibt es so scheußliche Unfallstatistiken und einen Düsseldorfer SPD-Politiker, der findet, daß Motorradfahren verboten gehört. Wer aber in der Kunst des Motorradfahrens voranschreiten will, muß sich einen Meister suchen.
Da ist er: Meister Bernd. Augen so blau wie die Abgase eines Zweitaktmotors. Ein Mannsbild mit Bart und BMW. Meister Bernd ist "Instruktor" für Motorradsicherheit. Sonst ist er Schwabe und schafft bei der Telekom. Eigentlich sind Instruktoren entweder Polizisten oder Fahrlehrer. Da hebt Meister Bernd die Stimme: "Wir wollen Spaß haben!"
Das versteht sich nicht von selbst. Denn Meister Bernd gibt seine Lektionen auf dem Nürburgring in der Eifel. Sicherheitstraining auf einer Rennstrecke? So ein Quatsch: Rasen lernen oder was? Kein Wunder, daß unter den 128 Motorradfahrern, die sich am Vatertag zum großen ADAC-Motorradtraining-Nürburgring '96 versammelt haben, nur neun Frauen sind. 700 Mark für zwei Tage inklusive Hotel und Kettenspray. Wer macht da mit? Junge Männer um die Dreißig, die im Kniebereich ihrer Lederkombi kleine Gummiplatten befestigt haben. Auf den Gummiplatten sind Kratzer zu sehen, die entstehen, wenn Motorradfahrer sehr schnell und sehr schief um Kurven fahren. Dabei rubbeln die Knie über den Asphalt, was als sportlich gilt. Die meisten von ihnen fahren entsetzlich schnelle Motorräder mit Walzen. Walzen sind superbreite Reifen, wie man sie vom Trecker kennt.
Es sind aber auch einige ältere Herren gekommen, die, wie es sich für ältere Herren gehört, eine BMW fahren. Sie sind in einer Gruppe für "Tourenfahrer" untergekommen. In der Gruppe von Meister Bernd. Tourenfahrer B. hat frische Unterwäsche angelegt. Man kann ja nie wissen. Falls man im Krankenhaus landet. Nicht doch! Meister Bernd fängt bei Null an. "Spaß ist", doziert er, "wenn die Maschine tut, was ihr wollt." Am besten tut sie das, wenn das Motorradfahren aus der Hüfte kommt.
Der erste Tag erschöpft sich darin, daß man auf einem (Rettungs-!)Hubschrauber-Landeplatz kleine Kreise dreht und auf dem Motorrad hin- und herhopst. Rums - da stürzt der P. Er ist nämlich sehr steif und verkrampft in der Hüfte. Jetzt liegt er im Dreck. Der Meister tröstet: "P. hat sein Limit kennengelernt." Und nebenbei lernen alle, daß man nicht sagt: "Er ist gestürzt", sondern: "Er hat sein Motorrad weggeschmissen." Das Gesetz des Handelns bestimmt noch im Stürzen der Fahrer.
Am zweiten Tag: die Piste. Jede Kurve des Nürburgrings hat einen Namen. Geübte Ringexperten sind in der Lage, nachts im Bett die Rennstrecke nachzufahren. Besonders gemein die Kurvenkombination bei Kilometer 5,5: "Adenauer-Forst". Der geeignete Ort für Theoriearbeit. Meister Bernd diskutiert, während vorbeieilende Sportfahrer ihre Knieprotektoren abnutzen, die "Ideallinie". Das ist der schnellste Weg, durch eine Kurve zu kommen, also der einzig mögliche. Dieser Weg ist das Ziel, aus prinzipiellen Erwägungen natürlich unerreichbar.
Im Windschatten von Meister Bernd geht es dann in die Schräglage. Schneller, immer schneller. Aus Angst wird Lust, aus Tourenfahrern werden Helden. Bis aus Lust wieder Angst wird. Aha: das Limit! In den Pausen stellen sich biographische Fragen: Wieso hat man nie an ein Leben als Rennfahrer gedacht? Ist es zu spät, an ein Leben als Rennfahrer zu denken? Was wird die Familie sagen? Am Abend erhält jeder Teilnehmer eine Urkunde und ein Rennvideo vom Ring.
Niemand verläßt den Meister, wie er kam. Erwachsene Menschen tragen freiwillig ein T-Shirt mit Reklame für einen Reifenhersteller und den ADAC. Gutmütige Tourenfahrer streichen stolz über die angeschmorten Flanken ihrer Motorradreifen, die bis dahin noch nie die Straße berührten. Es ist ein großes Glück, daß an den entscheidenden Punkten der Rennstrecke ein Photograph stand. In wenigen Wochen wird man der Familie zeigen können, wie schräg man lag.
© beim Autor/DIE ZEIT 1996 Nr. 32
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