Die Kolumne "Unter Helmen"
Noch im letzten Jahrtausend begab es sich, dass es bei der Wochengazette "Die Zeit" eine Kolumne für Motorradfahrer gab.
Der Autor Burkhard Straßmann hat hier der Szene genau auf die Finger geschaut und in acht Artikeln sehr treffende Einblicke in die Welt der Zweiradrebellen gewährt.
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Vom Grüßen
Polofahrer grüßen einander nie. Omegafahrer grüßen einander nie. Doch fahren zwei Alfa-Romeo-Fahrer aneinander vorbei, heben sie auffallend lässig einen Finger der linken Hand. Wer eine "Ente" fährt, grüßt andere Entenfahrer, indem er aufgeregt mit der Frischluftklappe wackelt. Selbst Lkw-Fahrer kleben sich manchmal eine hin und her pendelnde rote Plastikhand an die Windschutzscheibe. Wer sich im Autoverkehr als exquisite Minderheit empfindet, grüßt die Angehörigen seiner exquisiten Minderheit. Die höchstentwickelte Grußkultur aber findet man unter Motorradfahrern.
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Die Beifahrerin
Der Mann. Die Maschine. Schwarzes Leder. Schwarzer Lack. Er reißt das Gas auf. Sie jubelt. Wer wollte sich dazwischendrängeln!? Die Beifahrerin.
Puristen unter den Motorradfahrern sind Solofahrer. Sie interessieren sich nur für die eine. Sie kaufen sich ein Motorrad, das für die andere keinen Platz hat. Ein Motorrad mit Einzelsitz, auch "Einzelsitzbrötchen" genannt. Der Solofahrer lebt den Traum von der Verschmelzung in höchster Konsequenz. Von diesem Traum lebt die Motorradindustrie. Sprechen wir es offen aus: Es geht um Sex. Puristen mit Einzelsitzbrötchen werden von anders Orientierten gern als "arme Würstchen" verlacht.
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Das Harley-Davidson-Treffen
Heute besuchen wir ein Harley-Davidson-Treffen auf einer Wiese in der Nähe von Quakenbrück. Wir haben ein bißchen Angst. Harley-Davidson-Fahrer sind ja ganz harte Jungs. Ganzkörpertattoo, schnelle Fäuste. Schlimme Machos. Ein bißchen Vorbereitung kann nicht schaden.
Die erste Übung kann man mit der Gattin zu Hause machen. Man muß nur den Mut aufbringen, ihr zu sagen: "Hey, Torte, laß mal 'n Krefelder rüberwachsen!" Weil Torte nicht weiß, was ein Krefelder ist, wird man nicht sehr erfolgreich sein. Weiterüben!
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Der Instruktor
Motorradfahren ist eine Kunst. Die meisten Motorradfahrer sind sich sicher, daß sie diese Kunst beherrschen. Darum gibt es so scheußliche Unfallstatistiken und einen Düsseldorfer SPD-Politiker, der findet, daß Motorradfahren verboten gehört. Wer aber in der Kunst des Motorradfahrens voranschreiten will, muß sich einen Meister suchen.
Da ist er: Meister Bernd. Augen so blau wie die Abgase eines Zweitaktmotors. Ein Mannsbild mit Bart und BMW. Meister Bernd ist "Instruktor" für Motorradsicherheit. Sonst ist er Schwabe und schafft bei der Telekom. Eigentlich sind Instruktoren entweder Polizisten oder Fahrlehrer. Da hebt Meister Bernd die Stimme: "Wir wollen Spaß haben!"
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Die Streckensperrung
Eine Straße ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Im Prinzip. Diesem Prinzip stellen sich zum Beispiel Berge in den Weg, Aussiedlerhöfe und tausendjährige Eichen. Darum hat die Menschheit die Kurve erfunden.
Die längste Verbindung zwischen zwei Punkten findet man an den Stauseen unserer Mittelgebirge. Folglich auch die schönsten Serpentinen und dramatischsten Kurvenkombinationen. Weil ein Motorradfahrer sich überhaupt niemals für die kürzeste, sondern immer für die kurvenreichste Verbindung zwischen zwei Punkten interessiert, nimmt er am Wochenende die Generalkarte zur Hand und sucht nach blauen Flecken im Mittelgebirge. Ein solcher blauer Fleck ist der Rursee in der Eifel.
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Frauen in Angst
Es gibt Männer, die stricken Mützen und wechseln ihren Kindern die Windeln. Es gibt Frauen, die fahren Motorrad. Am 1. Juli 1995, so die aktuellste Zahl des Kraftfahrt-Bundesamtes, gab es in Deutschland 303 835 Kraftradhalterinnen. Sie halten dreizehn Prozent des Gesamtbestandes. Also müßte statistisch auf jedem achten Motorrad, das an uns vorbeidonnert, eine Frau sitzen. Tatsächlich sitzt da eine Frau, aber hinten. In Wahrheit sind Motorradfahrerinnen im Straßenbild eine rare Ausnahme. Außer bei Frauen-Motorradtreffen und neulich im Odenwald.
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Fahren + Stehen = Treffen
Eigentlich müssen Motorradfahrer immerfort fahren, fahren, fahren. Das hat zwei Gründe. Der erste ist ein fahrphysikalischer: Einem Motorrad, das steht, fehlen die stabilisierenden Kreiselkräfte. Es fällt um. Der zweite Grund ist ein thermischer: Die Abkühlung des Körpers durch den Fahrtwind ist enorm und steigt im Quadrat der Geschwindigkeit. Man muß sich warm anziehen. Folgerichtig ist ein stehender Motorradfahrer stets viel zu warm angezogen. Aus der Not haben die Motorradfahrer eine Philosophie gemacht: Der Weg ist das Ziel. Das Verbrennen fossiler Brennstoffe ist ein Wert an sich, gestoppt wird nur zum Tanken.
Unter Helmen - die Motorradkolumne
Von Burkhard Straßmann
Über den Nachwuchs
Wer ist der größte Feind des Motorradfahrers? Die Ölspur? Der Sheriff mit dem Lärmmeßgerät? Nein: der Nachwuchs. Und was verbirgt sich hinter Kleinanzeigen wie dieser, die man regelmäßig in Motorradmagazinen findet: Aufgabe wg. Nachwuchs. Verkaufe bildschöne, sauschnelle Yamaha und so weiter . . .? Schicksale verbergen sich dahinter!
Klaus-Dieter war zeitlebens Motorradfahrer, immer im Leder, immer Öl unter den Nägeln, Ducati, was sonst. Und nun ist er plötzlich Vater. Vater sein aber heißt: Dose fahren. "Dosen" sind Autos, die von Motorradfahrern gehaßt werden, also alle Autos. Gestern noch mit der Ducati in den Dolomiten, heute mit dem Kleinwagen beim Kinderarzt. Mit Mutti und Baby zu Oma und Opa oder Ikea. Im Stau stehen wie jeder Spießer. Keine Luft kriegen in der Dose.