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Der folgende Bericht ist auch in der Ausgabe 31 der Zeitschrift Sidecar Traveller erschienen, ungekürzt, jedoch mit anderen Bildern.

Best friends with Lewis and Harris

Unsere Kumpels Lewis und Harris

Auch wenn Lewis und Harris keine Freunde im üblichen Sinne sind, gehören sie doch zu den besten Bekanntschaften die wir je gemacht haben.

Rückblende

Es ist Februar 2016 - drei Gespannfahrer planen ihre Tour durch Schottland. Zur Vorbereitung wird Literatur gewälzt und vor allem im Internet recherchiert.
Neben den üblichen Verdächtigen wie Loch Ness, Ben Nevis, Edinburgh usw. stolperten wir auch über dieses Foto, anscheinend nicht Stonehenge, sondern viel cooler:

Ein harmloses Bild - mit großen Auswirkungen

Spontane Entscheidung: Da fahren wir hin!
 
Was sind denn das für Steine?
- Die Callanish Standing Stones.
Aha.
 
Aber wo stehen die Dinger denn überhaupt?
- Auf Lewis und Harris.
Aha.
 
Und wo ist das genau?
- Auf den äußeren Hebriden.
Aha.
 
Wo war das gleich? Egal - da fahren wir hin!

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Nun muss man so eine Tour durch Schottland auch etwas planen was die Tagesetappen angeht

Hier ein erster Tipp: Wenn man vom Festland kommt landet man ganz im Osten des britischen Main Islands, denn die nördlichste Fährverbindung geht nur bis Newcastle. Die Äußeren Hebriden sind aber wirklich ganz im Westen des Landes. Wer sich auch noch für andere Orte in Schottland interessiert, und Vollgas-Verbindungsetappen meiden will, dem bleibt nicht wirklich viel Zeit für die Inseln im Atlantischen Ozean.
Von unserer zwei Wochen Reise blieben zwei ganze Tage übrig. Immerhin. Also alle Sehenswürdigkeiten herausgesucht, und eine große Tour quer über die Inseln geplant, damit man auch ja nichts verpasst, wenn man schon mal da ist.
 

Unsere Tour - Nord und Süd haben wir abgehakt.

Hello Harris! Nice to meet you.

Von der Isle of Skye haben wir die Fähre von Uig nach Tarbert genommen.

Manchmal müssen sich die Gespanne ganz schön reinquetschen um einen Platz auf dem Autodeck zu finden. Manchmal aber nicht.

Laut Plan galt es, am Ankunftstag Süd-Harris komplett abzufahren um dann in Nord-Harris zu übernachten.
Wir starteten mit dem Strand bei Luskentyre. Ein karibisches Kleinod, das am Atlantik völlig deplatziert erscheint. Allein das Wetter war schottisch und wahrscheinlich der einzige Grund, warum uns keine Frauen in Baströckchen Blumenketten über die Helme gelegt haben.
Luskentyre Beach - a must see, definitely.


Wo gibt’s hier die Drinks mit Schirmchen?

Karibische Schönheit im Bastrock - oder fränkischer Gespannfahrer im Kilt?

Der Tag war schon lang, und die Route einmal im großen Bogen über Süd-Harris war etwas zu optimistisch geplant. Also haben wir uns stattdessen gleich in Tarbert in einem B&B einquartiert. Damit hat unser Reiseplan für die Äußeren Hebriden ganze vier Stunden gehalten. Aber wer konnte am Schreibtisch in Deutschland auch ahnen, wie es in Harris wirklich aussieht und dass entspanntes Fahren und genießen viel besser ist als eiliges Absammeln von Sehenswürdigkeiten.
Kommt man ja nicht drauf.

Im B&B wurden wir britisch-höflich aufgenommen, auch wenn wir so gar nicht wie die andere Kundschaft waren - dort gastierten eher Schöngeister und Golfspieler, und in diese Kategorie passen Gespannfahrer mit dreckigen Stiefeln und schlammverschmierten Motorrädern nicht wirklich.

Dorthin gehören die Schuhe! Wir haben uns nicht getraut, die schöne Abstellfläche mit unseren Stiefeln dreckig zu machen...


Kultur in Tarbert: Ale und Tweed

Das Abendessen gab es in der Mote Bar, dem Pub im Tarbert.
Zum Einordnen: Tarbert ist quasi die Hauptstadt von Harris, und zählt 550 Einwohner. Nur um sich ein Bild der “City” und der generellen Population auf Harris zu machen…
Im Pub gab es reichlich “kulturellen” Austausch, insbesondere mit zwei Handwerkern aus Glasgow.

Pro Tipp: Einen Glasgower versteht man nach sechs Bier am besten: Drei trinkst Du, dann fühlst Du Dich wie in Schottland geboren und überhaupt war Dein Englisch nie besser. Drei Bier trinkt der Glasgower, dann redet er nämlich nur noch halb so schnell, und erzählt alles dreimal. Dann - und nur dann - hast Du eine Chance, wenigstens ein paar Brocken des Glasgower Dialekts zu verstehen.

Wer Lewis und Harris besucht, kommt um das berühmte Harris Tweed nicht herum. Traditionell gefertigt, jeder Zentimeter handgewebt, von unerreichter Qualität und ebensolchen Preisen. Dafür bekommt man lokal hergestellte Ware weit abseits der typischen Großlabel-Fertigung aus Indien. So wurde ein Schal extra für uns genäht nachdem das Wunschmotiv zwar im Ballen auf Lager, aber nicht in der Schal-Abteilung nebenan zu finden war.

Harris Tweed von der Isle of Harris - das ergibt durchaus Sinn.

Die schönste Straße der Welt: The golden Road

1897 beschloss man in Harris, dass es notwendig sei die kleinen Siedlungen an der Ostküste mit einer Straße mit der “Hauptstadt” zu verbinden - bislang konnten sie nur über die See erreicht werden. Und zack - schon 1947 wurde die Straße entlang der kleinen Orte, Lochs und Hügel fertiggestellt. Die Bevölkerung unkte, die Kosten für einen Weg in diesem Terrain müsse so erheblich sein, dass man die Straße auch mit Gold aufwiegen könne. Der Name hat sich bis heute gehalten und steht sogar auf offiziellen Straßenschildern.
Für uns aber war diese Road so golden, weil es die schönste Single-Track Road ganz Schottlands, wahrscheinlich der ganzen Welt, ist.
Die nahezu perfekt präparierte, sich schlängelnde, schlaglochfreie Straße führt einen durch eine lichtdurchflutete Landschaft, in der sich sattblaue Seen, atemberaubende Ausblicke, farbenfrohe Farmhäuser und herrliche Hügelpassagen in einen geradezu romantischen Reigen vereinen.

So eine Landschaft sieht man selten. Schottisch? Norwegisch? -> Hebridisch!

Am Meer entlang, durch die Hügel rollend, eine Augenweide und Fahrspaß pur.

Golden Road mit Gespann

Abseits der golden Road gibt’s auch Fahrspaßgarantie

Was tun? Strecke genießen? Fotos schießen? Am besten beides!

Gespanne sind eben doch echte All-Terrain-Vehicles.

Als wir dann ganz im Süden an der St. Clements Church aus dem 13. Jahrhundert das Grab des Clan Chefs der MacLeods bewunderten, fragten wir uns ob die golden Road in der Gegenrichtung wohl genauso viel Spaß macht. Nun, es gab nur eine Möglichkeit das herauszufinden...

Pro Tipp: Die golden Road ist in der Gegenrichtung noch schöner. Dabei ist es egal, in welcher Himmelsrichtung man zuerst startet.

Typisch hebridischer Massentourismus: An dieser Hauptsehenswürdigkeit von Harris haben wir zwei weitere Besucher gleichzeitig getroffen. Das wurde uns fast schon zu voll.

5.016 Jahre

Doch während man sich auf dem güldenen Pflaster so verspielt, rinnt die Zeit dahin, und es muss wieder umgeplant werden. Back to the basics: Weswegen sind wir nochmal hier? Genau - die Callanish Standing Stones haben uns gerufen. Also heben wir uns Destillerien und andere Kulturgüter für das nächste Mal auf und begeben uns zu den Steinen, die seit 5.016 Jahren darauf warten von uns besucht zu werden.
Nun kenne ich Stonehenge nicht aus erster Hand, aber den Reiseführern zufolge soll es verblassen gegenüber den Callanish Standing Stones.
Man kann das aus zweierlei Blickwinkeln sehen:

Da sind so ein paar Steine scheinbar wirr auf dem Rasen platziert - nichts was man mit einem ordentlichen Bagger nicht auch selber hinbekäme. Nuja, sieht ganz nett aus.
Oder:
Bereits im Jahre 3000 vor Chr. wurden hier (ganz ohne Bagger) riesige tonnenschwere Steine aufgerichtet. In einer mystischen Anordnung, ein Oval mit Symmetrieachse exakt Ost-West, dessen Bedeutung über die Jahrtausende verloren gegangen ist. Wer sich darauf einlässt, kann hier vor seinem geistigen Auge noch die heidnischen Schamanen im Ziegenfell um die Steine laufen sehen.

5.000 Jahre strammstehen und kein bisschen müde - die Schotten sind schon hartgesotten.
 

Lense-Flare Effekt - voll das Profi-Foto.

Mehrere Urgesteine

Auf dem Weg zu unserer Unterkunft lud uns noch der Dun Carloway Broch auf eine Stippvisite ein. Der 3.000 Jahre alte Broch, eine Art Rundturm aus der Eisenzeit der als Haus genutzt wurde, hat sich allerdings für heutige Ansprüche als völlig untauglich erwiesen: Durch die schmale Eingangstür hätte doch nie und nimmer ein Gespann gepasst - wie soll man da notwendige Wartungsarbeiten im Trockenen durchführen?

Diskussion am Broch - wo würdest Du die Gespanngarage anbauen?

Typisch Broch: Doppelte Mauern, mehrere Ebenen, zu enge Eingangstür.

Gearrannan Blackhouses

Das gibt es wohl nur in Schottland - ein komplett restauriertes Freilichtmuseum mit den traditionellen Blackhouses wird Reisenden als Unterkunft zur Verfügung gestellt. Wer hat denn schon in historischen Farmhäusern mit doppelten Natursteinwänden und Reetdach gewohnt? Wir!

So niedrig und trutzig gebaut muss es schon sein, wenn es den hebridischen Elementen widerstehen soll.


Und so haben wir einen der schönsten Sonnenuntergänge über dem Atlantik genossen - das Meer vor uns, die Blackhouses hinter uns, und das gute Gefühl in uns, zur richtigen Zeit an genau dem richtigen Ort zu sein.

Raue Küste mit ganz eigenem Charme

Steine, Sonne, Meer

So soll ein Tag ausklingen, mit Kultur, Kaltgetränken und seinen Kollegen

Es ist Sommer, außerdem ist’s heute doch gar nicht windig

Bei uns ist es eher unbeliebt am Arsch der Welt zu wohnen. Die stolzen Bewohner von Lewis jedoch benennen den nördlichsten Teil Ihrer Insel genau so: The Butt of Lewis.
Wer schon ganz im Westen Schottlands ist, der muss auch ganz in den Norden des Westens. Also durchqueren wir Lewis um den Leuchtturm am Butt of Lewis zu erobern.
Auf dem Weg dahin aber verstehen wir, warum in vielen Reiseführern Lewis als “wild, windig und der rauen See ausgesetzt” beschrieben wird. Schon die letzten Tage sind wir mit Pullover unter der Kombi gefahren, aber auf Lewis musste jeder seine gesamte Unterbekleidung zum Einsatz bringen, denn in der flachen, spärlich bewachsenen Gegend regiert der Wind. Der Wonnemonat Mai hat uns an diesem Tag mit nur 5°C beschenkt.
Und während wir uns schlotternd Richtung Norden orientierten, kam uns ein Einheimischer auf seinem Trecker entgegen. Ohne Handschuhe. Ohne Mütze. IM T-SHIRT!
Wer bis dahin nicht gefroren hat, dem fröstelte es spätestens bei diesem Anblick jetzt auch moralisch.

So war es dann auch schon fast zu erwarten, als wir beim Tankstopp an der wahrscheinlich windigsten Tankstelle des Planeten zu hören bekamen: “Wieso windig? Es ist doch ein schöner Sommertag und kaum ein Lüftchen zu spüren!”. Dass an der Tankstelle auch die schweren eisernen Mülleimer mit einem Zurrgurt festgebunden werden mussten, damit sie nicht vom Wind davongetragen werden, scheint ganz normal zu sein.

Die Tankstellen sind in dieser dünn besiedelten Gegend Verkaufsstelle für alles. Spontan fällt mir nichts ein, was bei dem Sortiment noch fehlen würde.

The Butt of Lewis

Und so hat uns der Butt of Lewis auch mit einer herrlich frischen Brise begrüßt. Kein Wunder, sind wir hier doch näher an Island als an unserer Heimatstadt. Wiederum ohne eine andere Menschenseele an diesem Ort, sind wir mit den Gespannen etwas spielen gegangen. Wir lassen uns doch von einer Straße nicht vorschreiben, wie weit wir in den Norden fahren können!

Go north!

Suchbild: Hier sind zwei Gespanne in rauer Kulisse versteckt

Die beste Wurst Schottlands

Doch keine Reise ins Vereinigte Königreich, ohne auf kulinarische Höhepunkte einzugehen:
Natürlich durften wir Lewis nicht verlassen ohne den berühmten Stornoway Black Pudding von MacLeod. Schon im B&B wurden wir beim Frühstück damit verwöhnt, also galt es noch in der MacLeod’schen Metzgerei vorbeizuschauen, um, wie The Guardian 2010 befunden hat, “the best sausage made in the UK” zu kaufen.

Quelle: Von Charles MacLeod geklaut, sieht aber so lecker aus! http://www.charlesmacleod.co.uk/collections/puddings

Quelle: Von Charles MacLeod geliehen, sieht aber so lecker aus!

Black Pudding, White Pudding - in Schottland gibt’s sowas in einer Metzgerei.

Der Metzger auf unsere Frage, wie breit man den Black Pudding denn schneiden solle. Aha! Genau so breit!

Die Fähre hat uns von Stornoway zurück auf die Hauptinsel nach Ullapool gebracht. Von dort aus ging es ohne Eile, aber doch konsequent wieder Richtung Newcastle zur großen Fähre. Dass wir bei unserem Zwischenstopp in Kyle of Lochalsh unser drittes Gespann nach abenteuerlicher Reparatur wieder abgeholt haben, nur um 3 km später wieder liegen zu bleiben, ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Resümee

Wir haben Schottland als ein wunderschönes Reiseland erlebt. Die Straßen genau richtig für abenteuerlustige Gespannfahrer, die Landschaft atemberaubend, und die Schotten durchweg sympathisch. Wir kommen wieder, denn es gilt noch ein paar Highlights nachzuholen…

Schottland - Gespanne - Kilts. Das gehört zusammen.